Eine Auswertung autobiografischer Quellen zum Studium in der Wiener Moderne
Wie studierte es sich zur Zeit der Jahrhundertwende in Wien? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Student F. Knotz im Zuge des Seminars Angewandte Forschung im Wintersemester 2013/14 an der Universität Wien. Seine Forschungsarbeit veröffentlichte der angehende Historiker auf dem Blog Vomnutzenundnachteildesstudiums.
Ein Fazit: Zweifel, Motivationslosigkeit und fehlendes Interesse am Studium seien keine zeitgenössischen Phänomene. Bereits um die Jahrhundertwende hätten sich die Studenten an der Universität Wien mit derartigen Problemen herumgequält.
Die Arbeit konzentriert sich auf die Erfahrungen von sechs später sehr erfolgreichen Persönlichkeiten während ihrer Phase als Studierende an der Universität Wien. Als Quellen wurden autobiographische Schriften herangezogen.
Im Hinblick auf ihre eigenen biografischen Angaben beleuchtet wurden in ihrer Rolle als Lernende zwei der frühesten Studentinnen der Universität Wien: Elise Richter und Lise Meitner.
Links: Romanistin Elise Richter – die „erste Privatdozentin in Österreich“ genoss ab 1891 mit ihrer Schwester Helene das Gastrecht in einigen Universitätsvorlesungen. Erst 1897 konnte sie mit 31 Jahren die Matura ablegen und sich an der bis dahin Männern vorbehaltenen Universität Wien in der Philosophischen Fakultät immatrikulieren. Neben Indogermanistik und Germanistik belegte sie Romanistik und studierte bei Adolf Mussafia.
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Rechts: Kernphysikerin Lise Meitner – sie studierte ab Oktober 1901 Mathematik, Physik und Philosophie, und gilt als die zweite Frau, die in Wien im Hauptfach Physik promovierte, und als die vierte Frau, die an der Universität Wien überhaupt promoviert.
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Zudem wurden Protagonisten der ‚Wiener Moderne’ untersucht. Da fiel die Wahl auf Sigmund Freund, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig sowie Hans Kelsen.
Die Herren traten der Universität übrigens mit gemischten Gefühlen entgegen. So fokussiert die Arbeit den Erfinder der Psychoanalyse, Sigmund Freud, mit dem Zitat:
„Die Universität, die ich 1873 bezog, brachte mir zunächst einige fühlbare Enttäuschungen. […] Aber eine für später wichtige Folge dieser ersten Eindrücke von der Universität war, daß ich so frühzeitig mit dem Lose vertraut wurde, in der Opposition zu stehen und von der ‚kompakten Majorität’ in Bann getan zu werden.“ (Sigmund Freud studierte von 1873 bis 1881 Medizin).
Und Hans Kelsen, der heute als Architekt der österreichischen Bundesverfassung von 1920 gilt, klagte:
„Die ersten Vorlesungen, die ich an der Rechts‐ und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Wiener Universität besuchte, brachten mir bittere Enttäuschung. […] Schon nach kurzer Zeit gab ich den Besuch der meisten Vorlesungen auf und wandte mich der Lektuere philosophischer Werke zu.“ (Hans Kelsen studierte von 1901 bis 1906 Rechtswissenschaften).
„Sollten also im Zuge des Studiums Sinnkrisen und Phasen des Desinteresses bzw. der Motivationslosigkeit auftreten: Nicht verzweifeln, auch andere hatten diese Probleme…“. Mit diesen Worten tröstete der Student der Angewandten Forschung seine Kommilitoninnen und Kommilitonen in einer filmisch dokumentierten Flugzettelaktion.